Von der Kastanie zum Mehl
Sammeln
Kurz vor der Ernte (ca. anfangs Oktober) wird unter den Bäumen ausgemäht. Mindestens jeden zweiten Tag sind wir dann in der Selve, sammeln die Kastanien und räumen jeweils die «Igel» und Blätter weg, damit man beim nächsten Mal nicht wieder die gleichen «Igel» in die Hand nehmen muss. Die Ernte 2021 fiel mit rund 100 kg enttäuschend aus. Im Jahr zuvor waren es 450 kg gewesen.
Wässern
Nach dem Sammeln kommen die Kastanien für neun Tage ins Wasser. Wurmstichige Früchte schwimmen obenauf und können abgeschöpft und entsorgt werden. Dank dem Wasserbad sollen sich die Früchte aber auch besser aus der Schale lösen. Hier wird auch die Sortierung vorgenommen: Grosse Früchte von den jungen Bäumen eignen sich fürs Braten, der Rest kommt in den Dörrofen.
Feuern
Das Vorbild sind die Dörrofen im Tessin (Gra) oder im Bergell (Cascina). Die Kastanien liegen in etwa zwei Metern Höhe auf einem Rost und werden durch den Rauch eines schwachen Feuers über Wochen gedörrt. Der Rauch entweicht dort durch alle Ritzen des Gebäudes. Der Feuerinspektor machte uns schnell klar: «Das könnt ihr vergessen». Wir haben uns deshalb für ein geschlossenes System entschieden mit einem Kaminabzug. Der Ofen ist von der Kaminbaufirma Walter Schnyder ausgetüftelt worden. Walter Schnyder hat viel Herzblut in die Entwicklung des Ofens gesteckt. Leider konnte er die Einweihung nicht mehr erleben. Er starb 2020 bei einem Motorradunfall in den Ferien in Kroatien.
Dörren
Im Obergeschoss kann der Ofen geöffnet werden. In jede der sechs Boxen, die neben- und übereinander liegen, können 30 kg Kastanien eingefüllt werden. Die Kastanien müssen nicht eingeschnitten werden. Bei einer Temperatur von rund 50 Grad werden die Früchte langsam geröstet, die Schale wird dann zunehmend dunkel und brüchig. Wichtig ist die Temperaturregelung. Die Temperatur darf nicht über 90 Grad steigen, denn dann kristallisieren die Kastanien und der Dörrvorgang ist zu Ende. Wir haben ein vierköpfiges Team, das das Feuern übernimmt. Dreimal pro Tag wird eingefeuert und die Temperatur aufgeschrieben. Das Gewicht der Kastanien verringert sich beim Dörren auf einen Fünftel.
Schlagen
Die gedörrten Kastanien kommen in einen Sack und werden dann auf einen Bock geschlagen. Die Schale löst sich von der Frucht. Durch sanftes Schütteln in einem Korb können Frucht und Schale voneinander getrennt werden. Die letzten Reste der Schale werden entfernt.
Mahlen
Es hat sich gezeigt: Es ist gar nicht einfach, in der Nähe eine Mühle zu finden, die bereit ist, die Kastanien zu mahlen. Kastanien sind fetthaltig, was eine aufwendige Säuberung der Mühle notwendig macht. Dieser Aufwand lohnt sich bei unseren doch eher kleinen Mengen nicht. Wir haben uns deshalb nach einer eigenen Mühle umgeschaut – und siehe da: Vorstandsmitglied Pascal Schöpfer wurde fündig. Die Firma Frohkost AG in Wetzikon hat eine Mühle aus dem Osttirol importiert und auf unsere Bedürfnisse angepasst. Der Prozess läuft in einem Durchgang, dank verschiedenen Sieben kann die Feinheit des Mehls geregelt werden. Das Mehl wird in der Dorfbäckerei Kronig AG zu Brot verarbeitet.
Ein Dörrofen wird eingebaut
Schnell war aber klar: Nach dem historischen Vorbild geht es nicht. Aus Sicherheits- und feuerpolizeilichen Gründen braucht es ein geschlossenes System mit Kaminabzug. Die Schnyder Kamin Bau AG mit Sitz in Mörel-Filet entwarf einen entsprechenden Ofen und baute diesen ein.
Am 8. Oktober 2020 wurde der Ofen erstmals befeuert.
Die Kosten für den Ofen und die Umbauarbeiten, die mit der Nutzung im direkten Zusammenhang stehen (Strom, Wasser, Böden usw.), betragen 125’000 Franken. Gemeinde, Burgergemeinde und Cheschtenezunft sprachen Beiträge von insgesamt 40’000 Franken. Die Zunftmitglieder zahlten 10’000 Franken für den Bau des Ofens ein. Den Restbetrag von 75’000 Franken übernahmen je zur Hälfte die Raiffeisenbank Aletsch Goms (über den Projektwettbewerb zum 100-jährigen Jubiläum) und die Loterie Romande. Damit war die Finanzierung gesichert.
Ein Stadel wird zum Dörrhaus
Der passende Standort für den Dörrofen war rasch gefunden: 2019 sanierte die Gemeinde den Stadel bei der Steinscheune in Mörel und die Behörde war erfreut, das historische Ökonomiegebäude einer sinnvollen Nutzung als zukünftiges Dörrhaus unterziehen zu können. Der Stadel wurde der Cheschtenezunft unentgeltlich zur Verfügung gestellt.
Marroni und Kastanienmehl
2019 konnten die Mitglieder der Cheschtenezunft erstmals eine Ernte einbringen. 300 Kilogramm Kastanien fielen an – und wenn die Bäume weiterhin derart gut wachsen, wird die Menge noch deutlich zunehmen.
Die grössten und schönsten der eingesammelten Kastanien werden als «Marroni» bei internen oder externen Anlässen geröstet. Die Kastanien von mittlerer Grösse werden zum glutenfreien und deshalb sehr gefragten Kastanienmehl verarbeitet. Vor dem Mahlen müssen diese Kastanien aber zuerst in einem speziellen Ofen gedörrt werden.
Schemazeichnung eines Dörrhauses.
Ein historisches Dörrhaus im Kanton Tessin.
Kastanien vor dem Dörren im Dörrhaus.
Historische Dörrhäuser kennt man in der Schweiz aus dem Tessin und dem Bergell. Dort heissen sie «Gra» respektive «Cascina». In diesen Öfen werden die Kastanien über Wochen hinweg bei 60 bis 80 Grad im Rauch eines lodernden Feuers gedörrt. Dabei werden die Schalen spröde, fallen zum Teil von selber ab oder werden nach dem Dörrprozess in Handarbeit abgeschlagen. Die gereinigten Kastanien gelangen dann in die Mühle, wo sie zu Kastanienmehl verarbeitet werden. Dieses findet Verwendung bei der Herstellung von Back- oder Teigwaren.